Eindrücke vom Woodstage Summer Open Air 1999

Ein Bericht von Andreas Hadji Raftis

Die Luft ist geschwängert von einem Duftgemisch aus Patschuli, Räucherkerzen und Grillhähnchen. Auf dem Festivalgelände im Gründelpark in Glauchau beginnt das 5. Woodstage Open Air mit den Newcomern "Scycs". Doch die Schlange am Einlaß nimmt noch lange kein Ende. Waver, vereinzelte Punks und Normalos mit und ohne "J.B.O." Shirts warten geduldig, um auf das Gelände zu kommen. Die Scycs spielen natürlich ihre beiden Hits "Next November" und "Grounded". Und auch der restliche Set kann sich hören lassen. Das Gelände ist noch nicht sehr voll, aber das tut der Stimmung vor und auf der Bühne keinen Abbruch. Im Anschluß gehen "Knorkator" ins Rennen. Allein das skurrile Outfit der Band macht den Gig zu einem Augenschmauß. Der Keyboarder erinnert in seiner gelben Kluft stark an eine Kreuzung aus Guildo Horn und "Bibo" aus der Sesamstraße, der Sänger kommt ganz in rosa und der Gitarrist erscheint im schwarz-weißen Zottelfell. Während des Auftritts reißen sie sich nicht nur die Kleider von den tätowierten Körpern, sondern zerlegen auch die halbe Bühne. Titel wie "Mich verfolgt meine eigene Scheisse" oder ein deftiges Liebesgedicht belustigen das mittlerweile größere Publikum. "In the Nursery" aus Sheffield beeindrucken durch ihre überzeugende Frontfrau, einen super Sound, der zwischen Ambient und Wave schwebt, und eine doppelte Schlagzeugperformance. Mit Geige, Dudelsack, und dreihälsiger Gitarre, die auch Steve Vai alle Ehre gemacht hätte, bilden "Subway to Sally" mit ihrem Mittelalter-Metall den ersten Höhepunkt des Festivals. Die Helfer und Ordner bekommen erstmals richtig Arbeit. Die Masse hüpft begeistert zu Titeln wie "Liebeslied", "Er hat sie berührt", oder "Das Opfer" und die ersten Leute purzeln in den Foto-Graben vor der Bühne. Für die schwarze Gemeinde ist "Das Ich" dann das große Highlight. Kunstvoll toupierte Haare, fahrbare Keyboards, und ein schwarz bemalter Sänger begeistern das Publikum. Und auch lange nachdem "Gottes Tod" verklungen ist, werden die Autogramm- und Fotowünsche der Fans bereitwillig erfüllt. In Glauchau ist es auch nichts außergewöhnliches, daß sich die Bands vor und nach ihren Auftritten unters Publikum mischen. So wurden "And One" schon am Nachmittag bei den Verkaufsständen im Hinteren Bereich des Geländes gesehen. Auch "Such a surge" zogen durch den Gründelpark. Vorher bestritten sie jedoch ihren Auftritt in bester Spiellaune und mit einer gehörigen Portion Humor. Sie waren es wohl nicht gewöhnt vor so vielen "Schwarzen" zu spielen, was Kommentare wie: "Paßt auf, daß Eure Schminke nicht verwischt!", oder ein ironisches "Represent the dark side!" bewiesen. Die Sänger beeindruckten durch ihre Energie und Dynamik, und Songs wie "Ich wünscht ich wär` was besonderes" und "Jetzt ist gut!" kommen live noch mal um Längen besser als von Konserve. Anscheinend fanden während des Gigs auch Aufnahmen für ein neues Video statt. Alle die dabei waren aufpassen: Vielleicht seht Ihr Euch demnächst auf VIVA oder MTV wieder. Achtzehn Mann stark folgten die Franzosen von "Les Tambours du Bronx". Ihre beeindruckende Bühnenperformance läßt sich nur schwer in Worte fassen. Wenn der Taktgeber wie ein Derwisch inmitten des Halbkreises aus alten Ölfässern hin und her springt und seine Mit-Trommler anfeuert, dann spürt man die Energie die in diesem Rhythmus liegt. In genialer Synchronität werden die Fässer malträtiert und ein donnernder Klangteppich legt sich über Glauchau. Frankens beliebtester Export-Schlager nach Lebkuchen und Bratwürsten scheinen "J.B.O." zu sein. In ihren lila Bühnenkostümen (farblich auf die Marshall-Türme abgestimmt) würden sie optisch sehr gut zu Knorkator passen. Doch die Musik ist eine völlig andere. Das Publikum gröhlt begeistert jede Textzeile von "Schlaf Kindlein, schlaf" und "Heut ist ein guter Tag zum sterben" mit, und J.B.O. rocken was das Zeug hält. Sogar den Grand Prix Beitrag der deutsch türkischen Band "Rümmstün" von 1982 geben sie zum besten. (Rammstein kombiniert mit Nicoles "Ein bißchen Frieden"; nur ein Kitzmann-geschwängertes Hirn kann so etwas gebären.) Damit der Alkohol-Pegel den kritischen Wert im Blut nicht unterschreitet, hat jedes Bandmitglied seinen persönlichen, privaten Bierhalter am Mikroständer. Auch Phillip Boa, der mit Frau, Kind und Voodooclub angereist war, zeigte sich in bester Laune. Amüsiert nimmt er "Meister, Meister!" Rufe zur Kenntnis, und spielt einen Hit nach dem anderen. Von "Fine arts in silver" über "This is Michael", bis zu "Love on sale" ist alles dabei. Lediglich Pia Lunds Stimme vermißt man bei einigen Songs. Aber spätestens bei "Kill your ideals" tobt das ganze Festivalgelände und Pia ist vergessen. Von Boas drei Woodstage Auftritten war das wohl der Beste. "And One", die hier ihren einzigen Festival-Gig bestritten, hatten ebenfalls großen Spaß an ihrem Auftritt. Auch die Partystimmung im Publikum stieg immer weiter an. Alte ("Deutschmaschine", "Technoman") und neue Titel ("Get you closer") überzeugten live sowohl musikalisch, als auch durch eine fetzige Bühnenshow. Zu Ende gab es Quatsch und Nonsens mit dem Publikum, was darin gipfelte, daß "And One" die Leute aufforderten, doch kräftig "Buh!" zu rufen. Außer der Aufforderung gab es dazu glücklicherweise keinen Anlaß. Für mich persönlich waren "And One" der absolute Höhepunkt des diesjährigen Woodstage. Die Headliner "Wolfsheim" hatten außer sich selbst und ihrem Powerbook auch noch ein Streichensemble dabei. In gewohnter Perfektion spielten sie ein Repertoire aus alten und neuen Hits, und auf der Bühne tanzten Springbrunnen und nette Lichteffekte dazu. Leider begann es jetzt auch zu regnen. Den künstlichen Regenvorhang, der zur Bühnenshow gehörte, konnte man da nur noch erahnen. Doch bei dem Lied "Künstliche Welten" (laut Peter Heppner Wolfsheims Lieblingslied) hört der Regen textgerecht bei der Stelle "...ich schaff` Dir eine neue Zauberwelt, in der kein Regen fällt..." wieder auf. Als Zugabe gibt es "Read the lines" und danach merken auch die letzten, daß das Festival für 1999 leider schon wieder vorbei ist. Alles in allem ein gelungenes Open Air, mit einer schwarz-bunten Musikauswahl und einer entspannten, friedlichen Stimmung. Laut den Ordnungskräften gab es keinen einzigen nennenswerten Zwischenfall. 

Und für das Jahr 2000 ist schon eine große Überraschung angekündigt.
Und da treffen sie in Glauchau wieder alle zusammen: Grufties, Punks, Rocker, Skater, Normalos, Waver,..........